Die Europäische Union und andere führende Wirtschaftsnationen setzen zunehmend auf De-Risking, um wirtschaftliche Abhängigkeiten von China zu verringern und ihre Volkswirtschaften zu stärken. Dieser Ansatz unterscheidet sich von einer vollständigen Entkopplung (De-Coupling / Decoupling) und zielt darauf ab, Risiken zu minimieren, ohne die wirtschaftlichen Beziehungen vollständig abzubrechen.
De-Risking versus De-Coupling: Was ist der Unterschied?
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat De-Risking als strategischen Ansatz Europas gegenüber China vorgeschlagen. Maria Demertzis, Senior Fellow bei Bruegel, betont, dass De-Risking im Vergleich zu De-Coupling und “strategischer Autonomie” eine deutliche Verbesserung darstellt. Während die USA weiterhin eine Entkopplung von China befürworten, lehnt die EU dies als weder möglich noch wünschenswert ab. “Strategische Autonomie” als Schlagwort der EU erweckte protektionistische Instinkte.
De-Risking hingegen basiert auf Diversifizierung und Resilienz. Es ist ein Ansatz aus der Managementlehre, der die Geschäftskontinuität gewährleisten soll. Diversifizierung der Energiequellen und Beschleunigung der Energiewende sind Beispiele dafür, wie Abhängigkeiten von einzelnen Lieferanten oder Regionen reduziert werden können. Die russische Invasion in der Ukraine hat gezeigt, wie anfällig die EU aufgrund ihrer Abhängigkeit von billiger Energie aus Russland war. Auch die Verkürzung von Lieferketten ist eine Form der Diversifizierung, die die Geschäftskontinuität gewährleisten soll.
Die Bedeutung von De-Risking für Europa
Die deutsche Bundesregierung betont in ihrer China-Strategie, dass die bilateralen Wirtschaftsbeziehungen wichtig bleiben, aber Abhängigkeiten reduziert werden müssen. China strebt laut der Strategie “Made in China 2025” die globale Markt- und Technologieführerschaft in Sektoren an, die für Deutschland und die EU essenziell sind. Die “Duale Zirkulation” zielt auf eine stärkere wirtschaftliche Unabhängigkeit Chinas bei gleichzeitig wachsenden asymmetrischen Abhängigkeiten des Auslands. Die Bundesregierung sieht es als dringend geboten an, die eigenen wirtschaftlichen Risiken zu mindern (De-Risking), lehnt aber eine Entkopplung ab.
Beim De-Risking geht es in erster Linie darum, Abhängigkeiten in kritischen Bereichen zu verringern. Kritisch sind etwa Produkte, die für die Gesundheit, die Energiewende oder für technologische Innovationen unerlässlich sind. Im Falle Chinas bestehen zahlreiche kritische Abhängigkeiten, etwa bei verschiedenen Metallen und Seltenen Erden, Lithiumbatterien und Photovoltaik sowie (veterinär-)pharmazeutischen Wirkstoffen.
Die Bundesregierung will die deutsche Wirtschaft bei der Erschließung diversifizierter, nachhaltiger Bezugsquellen unterstützen, unter anderem im Rahmen ihrer Rohstoffpolitik. Es geht dabei sowohl um unverarbeitete Rohstoffe als auch um Vorprodukte, bei denen die Abhängigkeit von China besonders groß ist.
Ein verstärktes Risikomanagement für das eigene China-Geschäft lohnt sich auch, weil die Bundesregierung in ihrer China-Strategie deutlich macht, dass „Kosten für Klumpenrisiken unternehmensseitig verstärkt internalisiert werden müssen, damit im Falle einer geopolitischen Krise nicht staatliche Mittel zur Rettung entstehen müssen“.
Konkrete Beispiele für De-Risking in der Wirtschaft
- Diversifizierung der Lieferketten: Unternehmen suchen nach alternativen Lieferanten und Produktionsstandorten, um ihre Abhängigkeit von China zu verringern. Dies kann die Verlagerung von Produktionsstätten nach Südostasien, Mexiko oder in die USA umfassen.
- Reshoring und Nearshoring: Die Rückverlagerung von Produktionsstätten ins Inland (Reshoring) oder in geografisch näher gelegene Länder (Nearshoring) soll die Lieferketten verkürzen und die Kontrolle über die Produktion erhöhen.
- Investitionen in Forschung und Entwicklung: Durch die Förderung von Forschung und Entwicklung im eigenen Land oder in Partnerländern sollen technologische Abhängigkeiten reduziert und die eigene Wettbewerbsfähigkeit gestärkt werden.
- Handelsabkommen: Die EU strebt den zügigen Abschluss von Handelsabkommen mit anderen Ländern an, um den Zugang zu diversifizierten Bezugsquellen und Absatzmärkten zu erleichtern.
- Rohstoffpolitik: Die Diversifizierung der Rohstoffquellen und die Förderung des Recyclings sollen die Abhängigkeit von kritischen Rohstoffen aus China verringern. Japan hat beispielsweise seine Abhängigkeit von chinesischen Seltenen Erden reduziert, indem es alternative Bezugsquellen erschlossen und Recyclingtechnologien gefördert hat.
- Stärkung der Cyber-Sicherheit: Angesichts der zunehmenden Cyber-Spionage aus China investieren Unternehmen und Regierungen in den Schutz von Geschäfts- und Forschungsgeheimnissen.
De-Risking: Was andere Länder tun
- Japan: Japan hat als eines der ersten Länder Erfahrung mit wirtschaftlichem Druck aus China gemacht. Die Regierung bemüht sich, die Lieferketten resilienter zu gestalten, insbesondere die Versorgung mit Rohstoffen und Lebensmitteln. Japan hat ein Wirtschaftssicherheitsgesetz beschlossen und gewährt hohe Subventionen für strategische Investitionen.
- Südkorea: Südkorea will seine Abhängigkeit von China bei zahlreichen Produkten reduzieren, etwa bei Nickel-Cobalt-Mangan-Präkursoren, Lithiumhydroxid und Seltenerd-Permanentmagneten. Die Regierung verfolgt eine “Industrial Supply Chain Strategy” und intensiviert die Zusammenarbeit mit Drittstaaten.
- Taiwan: Taiwan hat die Investitionen in China beschränkt und fördert das Reshoring von Unternehmen. Die Regierung will die Wirtschaftsbeziehungen zu den USA und den Ländern des Indo-Pazifiks intensivieren.
- USA: Die USA verfolgen einen konfrontativeren Ansatz gegenüber China und haben Handelsbeschränkungen und Zölle eingeführt. Die USA fördern ihre Unabhängigkeit im Halbleiterbereich durch den Chips and Science Act.
Fazit: De-Risking als Schlüssel zur wirtschaftlichen Resilienz
De-Risking ist ein komplexer und vielschichtiger Ansatz, der darauf abzielt, die wirtschaftlichen Risiken im Zusammenhang mit China zu reduzieren, ohne die wirtschaftlichen Beziehungen vollständig abzubrechen. Es erfordert eine Kombination aus Diversifizierung, Reshoring, Investitionen in Forschung und Entwicklung sowie einer aktiven Handelspolitik.